Der Zeitplan ist straff, der Anspruch hoch und das ist rund eine halbe Stunde östlich von Kapstadt zu spüren. Die Entwickler haben allenfalls bei den kleinen Wechselpausen einmal die Chance, einen Blick auf das Meer und die sehenswerten Felsformationen zu werfen. Das Tagesprogramm ist voll gespickt mit Messungen und Fahrprofilen; so fährt der Tross nach einem kollektiven Schluck aus der Wasserflasche weiter auf der Küstenstraße Richtung Hermanus. Schon als es zuvor über die R310 aus dem urbanen Stellenbosch hinaus aufs Land ging, überraschte der elektrische Prototyp mit dem ungewöhnlichen Kennzeichen ABC 110 in der Windschutzscheibe. Obwohl der mit wilder Tarnfolie verzierte Proband nach Aussagen des Entwicklungsteams ausschließlich die Themen Antrieb und Klimatisierung bespielen soll, fährt sich das rund 1,6 Tonnen schwere Kompaktklassemodell überraschend erwachsen. Erstmals seit Käfer-Zeiten ist wieder ein Volkswagen mit einem Heckmotor unterwegs. Und auch wenn die Leistungsdaten noch gehütet werden, ist davon auszugehen, dass der Prototyp, der in deutschen Landen das Kennzeichen BS - EU 980 E trägt, maximal bis zu 150 kW / 204 PS und deutlich mehr als 300 Nm maximales Drehmoment an seine Hinterachse bringen kann.
Stahl - das neue Karbon
Während die Basisversion mit wohl rund 110 kW / 150 PS und 300 Nm auf 19-Zöllern rollt, ist der Testwagen mit dem größeren 20-Zoll-Radsatz unterwegs, der einen Durchmesser von 705 Millimetern hat. "Für unsere größeren Modelle wie die SUV mit Allradantrieb sind sogar bis zu 750 Millimeter Raddurchmesser drin", erläutert Frank Welsch, "auch das ermöglicht die neue MEB-Plattform, die wir vielfältig skalieren können." Der Entwicklungsvorstand, der vor gut drei Jahren von Skoda zu Volkswagen kam, war bei der Entstehung der Elektrofamilie von Anfang an dabei. "Derzeit beschäftigen wir uns in der Entwicklung zu rund 40 Prozent mit den I.D.-Modellen. Einiges müssen wir immer wieder neu testen, da wir nicht wie beim MQB auf entsprechende Grundlagen zurückgreifen können." Überaus flott hängt das elektrische Integrationsstufenfahrzeug am Gas und beschleunigt gerade aus geringen und mittleren Tempi immer wieder dynamisch, ehe man auf dem rauhen Asphalt der Küstenstraße R44 auf den nächsten Toyota Corolla Mietwagen auffährt. Module wie Lenkung, Bremsen und Fahrwerk machen bei dem Testmodell, der seine schwarze Kunststoffheckklappe hinter der weiß-schwarzen Folie verbirgt einen guten Eindruck. Selbst Wind- und Abrollgeräusche passen angesichts des groben Fahrbahnbelags. Das Platzangebot des Neo ist deutlich üppiger als beim ähnlich dimensionierten Golf. Grund sind der rund zehn Zentimeter längere Radstand und der fehlende Verbrennungsmotor, der das Armaturenbrett deutlich nach vorne rutschen lässt und wertvolle Zentimeter im Fond freiräumt.
Nachdem erste Komponententräger und frühe Prototypen schon zwei kalte Winter hinter sich gebracht haben, ist dieser Erprobungswinter der entscheidende für die Qualität der I.D.-Familie. Nicht nur die Elektroantriebe müssen abgestimmt werden, sondern Modelle wie der Neo müssen erst einmal zu einem Auto gemacht werden, das den Qualitätsansprüchen eines VW genügt - der Antrieb kommt da allenfalls als zweites. "Wir sind in Deutschland, hier in Südafrika und in kalten Winterregionen gerade mit rund 100 Fahrzeugen unterwegs, die Daten sammeln", erklärt Dr. Frank Welsch, während er die nach dem Prinzip der Blockschokolade im Boden des I.D. verbauten Akkumodule erklärt. Der I.D. Neo selbst geht einen anderen Weg wie seinerzeit BMW mit dem i3. "Der Wagen besteht zu 99 Prozent aus Stahl", sagt Frank Bekemeier, "Aluminium und andere Komponenten wurden in erster Linie in den Crashstrukturen verbaut. Das Thema Gewicht ist nicht derart entscheidend; auch weil wir davon bei der Rekuperation profitieren und das maximale Drehmoment vom Start anliegt."
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- Veröffentlicht: 15. Dezember 2018