Drucken
I want you back
Detroit, einst eine der mächtigsten Industriestädte der USA, hat schwere Jahrzehnte hinter sich. Gemäß dem Motown Song der Jackson Five "I want you back" geht es mit der einstigen Millionenstadt sehr langsam bergauf, während die North American International Autoshow in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

I want you back

Michigan Station in Detroit (Foto: Oliver Schwarz)

Detroit, einst eine der mächtigsten Industriestädte der USA, hat schwere Jahrzehnte hinter sich. Gemäß dem Motown Song der Jackson Five "I want you back" geht es mit der einstigen Millionenstadt sehr langsam bergauf, während die North American International Autoshow in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

Die amerikanischen und japanischen Autohersteller haben es sich in den vergangenen Jahren einfach gemacht - zu einfach. Sie investierten nicht in die einst wichtigste automobile Leistungsschau der USA. Die NAIAS, die schon aufgrund der lokalen Bevölkerung eine Medien- und Marketingmesse war, wurde getragen von den europäischen oder besser den deutschen Autoherstellern. Sie alle hatten insbesondere seit den 90er Jahren massiv in die Detroit Motorshow investiert. Marken wie BMW, Volkswagen oder Audi hatten immer wieder mit ihren Shows auf den Putz gehauen. Musikalische Superstars wurden eingeflogen und die sonst so düstere Cobo Hall als Veranstaltungsort der Messe hatte einmal im Jahr einen echten Höhepunkt. Daimler ließ es mit seinen Marken Mercedes, Smart, AMG und Maybach besondersg krachen und feierte nicht nur neue Modelle, sondern beim imposanten Neujahrsempfang im nahegelegenen Hotel insbesondere sich selbst - mit gigantischem medialen Erfolg. Zuletzt mit der Weltpremiere der neuen G-Klasse im gigantischen Michigan Theatre, wo sich Dieter Zetsche und Arnold Schwarzenegger mit einem Zirbenschnaps zuprosteten.

Volkswagen bleibt - noch

Die Asiaten, gemeinhin eher für ihre blassen Messeauftritte bekannt, spulten auf der eiskalten Wintermesse NAIAS jedes Jahr im Januar nur ein liebloses Programm ab und die US-Hersteller suchen sich unweit der kanadischen Grenze seit Jahren selbst. Einst trampelten publikumswirksam Rinderherden Richtung Cobo Hall um neue Pick Ups zu präsentieren und zumindest nationale Stars gaben Bühnenshows und neuen Modellen einen entsprechenden Stellenwert. Doch in den letzten Jahren verloren insbesondere die marketingstarken Hersteller den Spaß an der einst so wichtigen US-Messe. Man zog nach Los Angeles, ließ Detroit fallen, kam wieder zurück, kürzte Budgets und verabschiedete sich letztlich mehr denn je von der Einrichtung der Messe. Nachdem die Detroit Motorshow viele Jahre wackelte, ist sie nunmehr ernsthaft ins Wanken gekommen.


Die meisten europäischen Hersteller sagten goodbye und zogen ab. Nur Volkswagen ist im Nachgang des Dieselskandals um Wiedergutmachung bemüht und hält Detroit die Treue. Daimler, Audi oder BMW strichen die Messe aus ihrem Kalender und es scheint unwahrscheinlich, dass es jemals eine Rückkehr gibt. Denn ein mächtiges Eigentor schoss die Messe im vergangenen Sommer selbst. Hatte sie bei vielen zumindest den wichtigen Status als Jahresauftaktmesse, auf der man eine frohe Botschaft und einen Rückblick auf das vergangene Jahr präsentieren konnte, entschied sich der Messeveranstalter, die NAIAS ab dem kommenden Jahr in den wärmeren Juni zu verlegen. Und dabei war der Jahresauftakt für viele der Hauptgrund, überhaupt nach Detroit zu kommen.

NAIAS ohne Publikumsbedeutung

Wer durch die Straßen der einstigen Millionenmetropole am Detroit River fährt, sieht seit Jahren das gleiche Bild. Heruntergekommene Häuser, zerborstene Scheiben, frierende Obdachlose und ein morbider Charme, der sich in eine endlose Aussichtslosigkeit verfestigt hat. Die Stadt, die einst durch die großen drei General Motors, Chrysler und Ford als Motorcity Weltruhm erlangte, hat diesen noch immer. Doch heruntergekommener kann eine westliche Metropole kaum sein. Immer mehr Fabriken schlossen und die internationalen Autohersteller, die sich in den vergangenen Jahrzehnten in den USA niedergelassen haben, zog es in den Süden der USA. Im zumeist eiskalten Januar blickte die Welt zwei Tage nach Wayne County / Michigan. Dann fiel die Automobilindustrie ein als wäre nichts gewesen und feiert sich und ihre Neuigkeiten lautstark.

Mercedes G-Klasse 2018 (Foto: Oliver Schwarz)
Ford Stand Detroit 2017 (Foto: Marcel Sommer)
Dodge Power Wagon Concept Vehicle Weltpremiere in Detroit 1999 (Foto: press-inform / Dodge)
(Foto: NAIAS)
(Foto: Marcel Sommer)
(Foto: Marcel Sommer)

In fast jedem der letzten Jahrzehnte gab es einen Abgesang auf die Stadt südlich des St. Clair Sees, die im Juli 1701 von Franzosen gegründet wurde. Von jenen Franzosen ist heute weniger denn je zu sehen. Die französischen Automarken haben sich bereits vor Jahren vom US-Markt zurückgezogen und in Downtown Detroit gibt es nicht einmal ein französisches Restaurant. Man isst Burger, Steaks, eine American Pizza oder geht zum Griechen seines kulinarischen Vertrauens. Die Innenstadt am Detroit River, die jahrelang als die hässlichste der USA ausgezeichnet wurde, wurde in den vergangenen Jahren immer wieder mit aufwendigen Einzelprojekten aufgemöbelt. Gebracht hat das lange Jahre nichts, weil kein Leben in die Stadt kam, Geschäfte erst leer gezogen wurden und dann verwahrlosten. In die Innenstadt fuhren die meisten Bewohner aus dem Großraum Detroit allenfalls dann, wenn die Redwings in der Joe-Louis-Arena ein Heimspiel hatten oder ein paar Meter weiter bis zu 42.000 Zuschauer im Comerica Park das Baseballteam der Detroit Tigers anfeuerten. Einkaufen, Spaziergehen oder einfach Freunde treffen? Abgesehen von zwei Handvoll Restaurants gibt es hier nichts, was locken könnte. Und gerade in den kalten Wintermonaten bewegt sich hier nicht viel außer dem 1987 eingeführten People Mover der überirdisch durch die City rattert. Einst war die legendäre Woodward Avenue so belegt wie Broadway oder Park Avenue in New York.


Dabei hatte es einmal völlig anders ausgesehen. Detroit war durch die Big Three ein Boomtown und die Autoindustrie war der Motor. Das legendäre Modell Ford T lief im Ford-Werk Highland Park erstmals im Jahre 1909 von Band und läutete weltweit eine neue Ära der Mobilität ein. Immer mehr Autohersteller und Zulieferer siedelten sich an und innerhalb weniger Jahre stieg die Bevölkerungszahl von knapp 500.000 um 1910 auf knapp zwei Millionen in den 50er und 60er Jahren. Doch seither geht es in und mit Detroit abwärts - die Einwohnerzahl sank zuletzt auf unter 700.000 - Tendenz weiter fallend. Außer der Autoindustrie gibt es in Wayne County kaum nennenswerte Wirtschaftszweige. Zahllose Großfabriken verfallen seit Jahrzehnten. Das Areal der mächtigen Packard-Fabrik soll seit Jahren wiederbelebt werden - auch wenn es hier erste hoffnungsvolle Ansätze gibt - bisher ohne echten Erfolg. Immerhin: Ford will der 1913 erbauten Michigan Central Station im Corktown District als Ideencampus in den nächsten Jahren neues Leben einhauchen.

(Foto: Marcel Sommer)
(Foto: Marcel Sommer)
(Foto: Marcel Sommer)
(Foto: Hersteller)
(Foto: Marcel Sommer)
(Foto: Hersteller)

Der Autobauer sucht Ford derzeit Investoren, um mindestens 250 Millionen Dollar an Steuergeldern und anderen Anreizen zur Unterstützung der Entwicklung der fünf Corktown-Standorte zu sammeln. Die Gesamtkosten in Höhe von 740 Millionen US Dollar werden voraussichtlich in den nächsten vier Jahren zur Verfügung stehen. Die historischen Gebäude des Corktown Campus sollen Teil des Mobilitätskorridors von Ann Arbor über Dearborn nach Detroit werden. Nach Angaben von Ford soll die ehemalige Station zu einem Magneten für Hightech-Talente und einer regionalen Destination mit modernen Arbeitsplätzen, Einzelhandel, Restaurants sowie Wohnraum werden. Detroit ist Grenzstadt zur kanadischen Stadt Windsor und seit Jahrzehnten bekannt für seine hohe Kriminalität. Legendär sind die Rassenunruhen im Jahre 1967. Hunderttausende von Einwohnern verließen Detroit in den 70er und 80ern. Viele Häuser sind bis heute verfallen und wurden nie wieder bezogen. Seit rund zehn Jahren bemüht man sich, Detroit wieder auf lebendige Beine zu bringen. Herunter gekommene Viertel werden abgerissen, neue Wohn- und Geschäftsviertel erstellt. Bauten wie das Renaissance Center, die Joe-Louis-Arena oder das Stadion Comerica Park bringen immerhin erste verheißungsvolle Ansätze. Hoffnung auf Besserung hatten viele auch in den jungen Bürgermeister Kwame M. Kilpatrick, der im Alter von 31 Jahren 2001 das Regiment übernahm; jedoch zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Weder sein Nachfolger Kenneth Cockrel Jr. noch Mike Duggan konnten an dessen Aufbruchsstimmung anknüpfen. Seit zahllosen Jahren gilt Detroit als gefährlichste Stadt der USA. Die düsteren Viertel der Stadt befinden sich diesseits der legendären 8-Mile-Line. Während diesseits viele Häuser verfallen und brennende Mülltonnen keine Seltenheit sind, geht es jenseits der 8-Mile-Road überaus hübsch zu. Nette Einfamilienhäuser mit gepflegten Gärten sind ein krasser Gegensatz zu den Bauruinen ein paar hundert Meter weiter in den schwarzen Vierteln.

Bleibt die Frage, ob Detroit den seit Jahrzehnten herbeigebeten Wechsel zu einer lebendigen Metropole doch noch einmal schafft. Erste coole Läden sind in die City eingezogen, alte Hochhäuser werden mit schicken Wohnungen auf Vordermann gebracht. Da käme eine erstarkte Automesse wie die North American International Autoshow als lautstarkes Lebenszeichen gerade recht. Doch dem wegbrechenden Trend folgend erscheint es unwahrscheinlich, dass die Autohersteller, die die NAIAS nunmehr verlassen haben, im Juni 2020 noch einmal zurückkommen. Und die großen drei US-Hersteller General Motors mit seiner Zentrale unweit der Cobo Hall, die Ford Motor Company aus dem südwestlich gelegenen Dearborn oder Fiat Chrysler Automotive in Auburn Hills haben mit ihren schlechten Verkaufszahlen derzeit ganz andere Sorgen, als eine Automesse in Downtown Detroit mit Millionen US Dollar zu unterstützen. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und wie schon die Jackson Five von Motown Records einst sangen: I want you back!

Autor: Stefan Grundhoff, Detroit  Stand: 14.01.2019
Fotos: Oliver Schwarz