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Es wird keinen Big Bang geben
Das autonome Fahren steht vor der Tür. Wer muss im Falle eines Unfalls den Schaden bezahlen? Dr. Claudius Leibfritz, CEO Allianz Automotive beantwortet diese Frage und gibt einen Ausblick, wie sich die Automobil-Versicherungsbranche verändern wird.

Es wird keinen Big Bang geben

Dr. Claudius Leibfritz, CEO Allianz Automotive: Die Grundstruktur der Haftung und somit der Kfz-Haftpflichtversicherung bleibt bestehen. (Foto: press-inform / BMW)

Das autonome Fahren steht vor der Tür. Wer muss im Falle eines Unfalls den Schaden bezahlen? Dr. Claudius Leibfritz, CEO Allianz Automotive beantwortet diese Frage und gibt einen Ausblick, wie sich die Automobil-Versicherungsbranche verändern wird.

Wie wird das automatisierte Fahren die Kfz-Versicherungsbranche verändern?

Dr. Claudius Leibfritz: Grundsätzlich wird das autonome Fahren die Kfz-Versicherungsbranche sicher nachhaltig verändern. Allerdings wird das nicht schlagartig passieren, sondern einige Jahre dauern. Es wird also keinen "Big Bang" geben. Schon heute gibt es Fahrzeuge mit Fahrassistenten der Automatisierungsstufe des Levels 2, die eine Teilautonomie herstellen und die eine Auswirkung auf das Risikoverhalten des Fahrzeugs haben.

 

Wie werden Autos, die das Level 3 des autonomen Fahrens erreichen, versichert? Die Allianz hat ja schon einen Versicherungsschutz zugesagt?

Leibfritz: Im Jahr 2017 wurde in Deutschland ein Gesetz zu Level 3 Funktionalitäten verabschiedet. Fahrern von Level 3-Fahrzeugen ist es erlaubt, ihre Aufmerksamkeit vom Straßenverkehr abzuwenden, sobald das Fahrzeug im hochautomatisierten Modus unterwegs ist. Erkennt das System jedoch ein Problem, muss der Fahrer das Steuer innerhalb weniger Sekunden wieder selbst übernehmen können Die Gefährdungshaftung bildet die ideale rechtliche Basis für eine stufenweise Fahrzeugautomatisierung. Sie garantiert, dass das Verkehrsopfer entschädigt wird - unabhängig davon, ob der Fahrer oder ein Systemfehler den Unfall verursacht. Liegt tatsächlich ein Produktfehler vor, kümmern wir uns als Versicherer darum und nehmen die Interessen des Halters wahr. Die Grundstruktur der Haftung und somit der Kfz-Haftpflichtversicherung bleibt bestehen. Die klassische Kfz-Haftpflichtversicherung wird sich deswegen für Level 3 Fahrzeuge nicht stark von der heutigen Haftpflichtversicherung unterscheiden.

 

Und wie schaut es bei Level 5 aus?

Leibfritz: Der heutige Rechtsrahmen reicht auch dafür aus. In vielen Märkten besteht eine sogenannte verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung für den Eigentümer beziehungsweise Halter eines Fahrzeugs. Sollte also ein autonomes Automobil einen Unfall verursachen, haftet zunächst der Eigentümer oder Halter dieses Fahrzeugs, ganz unabhängig vom Verschulden. Damit ist dessen Kfz-Haftpflichtversicherer erster Ansprechpartner für den Unfallgeschädigten und wird den Schaden regulieren. Sollte sich herausstellen, dass der Schaden durch ein Verschulden des Fahrzeugherstellers oder eines Zulieferers entstanden ist, kann der Kfz-Haftpflichtversicherer gegebenenfalls Regress nehmen. Diese Haftungsregeln stellen sicher, dass dem Geschädigten auch bei Unfällen mit Beteiligung von autonomen Fahrzeugen schnell geholfen werden kann.

 

Wie sieht es mit den Kasko-Versicherungen aus? Ist da nicht bei jedem Unfall eine Überprüfung fällig, die die Versicherungsgebühren nach oben treibt?

Leibfritz: Aufgrund der Assistenzsysteme wird die Schadenhäufigkeit abnehmen. Auf der anderen Seite sind die Kosten der einzelnen Komponenten durch die verbauten Hochtechnologiebauteile höher. Als Beispiel seien nur die Windschutzscheiben mit den ganzen Sensoren und Kameras genannt. Wenn die gewechselt werden muss, werden die Einzelschadenskosten höher. Außerdem wird es immer Schäden durch Unwetter oder Hagel geben, unabhängig davon, ob ein Mensch oder Roboter fährt. Also wird es nicht zu einem abrupten Sinken der Beitragskosten kommen. Wir sehen eine Stabilität und erst langfristig, das heißt im nächsten Jahrzehnt, ein leichtes Sinken der Versicherungsbeiträge. Schon heute arbeiten wir an Prozessen, die die Schadenabwicklung vereinfachen. So muss das beschädigte Fahrzeug nicht mehr bei jedem Schaden begutachtet werden, es reichen Fotos und Unfalldaten. In Zukunft, mit verbesserter Sensorik, werden die Fahrzeuge eine Beschädigung selbst feststellen und melden können.

 

Werden die Versicherungen auf Fahrtenschreiber im Auto bestehen?

Leibfritz: Man muss bei einem Unfall in der Lage sein, zu ermitteln, ob die Maschine gefahren ist oder der Mensch. Aktuell gibt es eine Gesetzgebung, die eine Dokumentation darüber einfordert, wer gefahren ist. Daran wird auch auf europäischer Ebene gearbeitet, um eine hoch automatisierte Mobilität zu ermöglichen.

 

Wie schaut es mit dem Datenschutz aus?

Leibfritz: Zunächst einmal muss der Schutz der Daten des Individuums gewährleistet sein. Der Schutz der Daten vor dem Zugriff von Hackern oder Cyberattacken hat für uns als Allianz Automotive seit vielen Jahren höchste Priorität und wir investieren daher konstant in diesem Bereich. Unsere Auffassung ist, dass die Daten immer demjenigen gehören, der sie produziert, also in diesem Fall dem Nutzer des Autos. Das gilt auch für Dienste, die bei einem vernetzten Fahrzeug angeboten werden. Deswegen ist bei jeglicher Nutzung der Daten eine Einverständniserklärung des Fahrers notwendig. Wir halten uns als Versicherer voll und ganz an die europäische Datenschutzverordnung.

 

Klingt einleuchtend, aber wie setzt die Allianz das um?

Leibfritz: In einer Unfallsituation muss in erster Linie der Opferschutz gewährleistet sein. Das heißt, dass wir sicherstellen wollen, dass die Geschädigten versorgt sind. Das beinhaltet sowohl Reparaturen als auch die medizinische Behandlung. Bei der Aufklärung eines Unfalls sind wir der Meinung, dass alle Beteiligten gleichermaßen Zugriff auf die Daten haben müssen. Eine Möglichkeit das umzusetzen ist, dass ein sogenannter Daten-Treuhänder die Daten verwaltet. Wir treten auch für eine situationsbezogene Speicherung der Daten ein, also nur kurz vor, während und nach dem Unfall. Über allem steht aber für uns der Opferschutz. Den Geschädigten muss schnell und unbürokratisch geholfen werden und nicht erst dann, wenn die Daten ausgewertet sind.

 

Welche Erwartungen stellt der Versicherer an die Automobilhersteller, was die Fehlerrate beim autonomen Fahren angeht?

Leibfritz: Ein weitreichender technischer Standard für selbstfahrende Autos ist sowohl aus Hersteller- wie auch aus Verbrauchersicht sinnvoll. Die Sicherheit hat höchste Priorität - entsprechend müssen die Steuersysteme so aufgebaut sein, dass auch bei Ausfällen eine sichere Fahrzeugsteuerung möglich ist. Das gilt auch für mögliche externe Zugriffs- und Manipulationsversuche. Die Evolution des autonomen Fahrens wird sich über die nächsten zehn bis 15 Jahre hinziehen. Gerade bei Verkehrs-Mischsituationen, wie zum Beispiel in den Innenstädten der Metropolen, wird es für eine sehr sehr lange Zeit noch keine volle Automatisierung geben. Bei der kommerziellen Nutzung wird die Automatisierung schneller voranschreiten. Also bei Fracht und Transport, genauso, wie beim Personenverkehr in überschaubaren und geschlossenen Gebieten, wie etwa Messen oder Campussen, wo sogenannte People Mover dann Teile des Transports übernehmen.

 

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den Automobilherstellern und einer Versicherung technologisch?

Leibfritz: Allianz Automotive hat über die Jahre eine ziemlich einzigartige Struktur in der Versicherungsindustrie geschaffen, um mit den Automobilherstellern zusammenzuarbeiten. Das geschieht mithilfe unserer Kompetenzzentren, die schon im Entwicklungsstadium mit den Automobilherstellern zusammenarbeiten. Dabei geht es auch um die Cyber-Sicherheit von Fahrzeugen.

 

Wie trägt die Allianz den neuen Mobilitätskonzepten Rechnung?

Leibfritz: Wir haben in München unser Automotive Innovation Center, das sich im Norden von München befindet. Dort beschäftigen wir uns auf globaler Ebene mit den neuen Mobilitätskonzepten sowie den daraus resultierenden Geschäftsmodellen und arbeiten direkt mit den Automobilherstellern, aber auch mit Mobilitätsdienstleistern, wie zum Beispiel Uber und Lyft zusammen.

 

Wie beurteilen Sie als Globaler Versicherer die Kooperation der Automobilhersteller beim autonomen Fahren, wie jüngst zwischen Mercedes und BMW oder VW und Ford?

Leibfritz: Diese Kollaborationen zeigen, dass die Mobilität des 21. Jahrhunderts die Akteure vor große Herausforderungen stellt. Zum einen das autonome Fahren und zum anderen die Elektrifizierung, die eine komplette Umstellung der Antriebstechnologie mit sich bringt. Dazu kommt noch das geänderte Nutzerverhalten in Bezug auf Automobile, wie zum Beispiel Car Sharing, Kurzzeitmiete und Langzeitmiete. Diese Entwicklungen ziehen natürlich einen enormen Investitionsbedarf nach sich, der sich über Kooperationen besser stemmen lässt. Darüber hinaus werden durch diese Kooperationen auch Standards geschaffen.

Autor: Wolfgang Gomoll, München  Stand: 23.07.2019
Fotos:   

Die Autimobilhersteller arbeiten mit Hochdruck am autonomen Fahren (Foto: press-inform / BMW)
Die Daten der Sensoren sollen bei der Unfall-Ursachenermittlung helfen (Foto: press-inform / Mercedes)
Auch sogenannte People Mover spielen bei der Versicherung der Zukunft eine Rolle (Foto: Hersteller)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Mercedes)
(Foto: press-inform / Nvidia)

Autor: Wolfgang Gomoll, München  Stand: 23.07.2019
Fotos: press-inform / BMW  

(Foto: press-inform / Ford)
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