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Raus aus den schummrigen Ecken

Audi Charging Hub (Foto: press-inform / Audi)

Nahe der Messe Nürnberg startet Audi ein Pilotprojekt, das die Ladesorgen in den Metropolen zwar nicht lösen, aber deutlich mildern könnte.

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg zum Propheten, heißt es. Audi beherzigt dieses Prinzip und bringt das Stromtanken in die Städte. "Es geht um die Menschen, die ihr Elektroauto nicht in der eigenen Garage laden können", verdeutlicht Florian Kehl. Der Plan klingt gut, doch in den Metropolen ist nicht nur der Platz begrenzt, sondern auch die Stromleistung. Der Ingolstädter Autobauer hat für beides die Lösung gefunden. Audi Charging Hub" nennt sich die Stromtankstelle in dem wohl unvermeidlichen Marketing-Denglisch. Nahe dem Messegelände in Nürnberg steht ein Würfel mit sechs Ladepunkten, an denen die Akkus mit bis zu 320 kW Ladeleistung befüllt werden können.

Regentonnen-Prinzip

Das ist an sich nichts Besonderes. Doch die Audi Ladetankstelle kann weitgehend autark betrieben werden. "Alles, was wir brauchen, ist eine asphaltierte Fläche und einen Stromanschluss mit 200 kW", erklärt Kehl. Dennoch schafft die Stromtankstelle eine Ladeleistung von insgesamt 960 kW. Aus 200 kW mach‘ 960 kW? Wie soll das gehen? Zaubern können sie in Ingolstadt noch nicht. Der Kniff sind Energiespeicher mit einer Gesamt-Kapazität von 2,45 Megawattstunden. Das entspricht den Batterien von 26 Audi e-tron 55. Die Autos zapfen den Strom nicht direkt von Netz, sondern den 924 Akkumodulen, bei denen es sich samt und sonders um sogenannte "2nd life Batteries" handelt. Also um Recycling-Akkus aus Audi-Elektromobilen.


Das Prinzip entspricht dem einer Regentonne, bei der Wasser hineinfließt. Statt Wasser tröpfelt beim Charging Hub konstant Strom in die Energiespeicher. Die also 24 Stunden lang gefüllt werden. Zusätzlich zu dem Grünstrom-Anschluss sorgt noch eine 30-KW-Photovoltaikanlage für Stromnachschub. Die Energiespeicher sind übrigens nicht zentral an einem Ort untergebracht, sondern dezentral verteilt. Die einzelnen Batterie-Module befinden sich in Regalen, sogenannten Racks und können schnell ersetzt werden. Damit können später auch leistungsstärkere Akkus aus dem ganzen VW-Konzern als Speicher dienen. Ein intelligentes Energiemanagement überwacht den Zustand der Speicher und schlägt Alarm, wenn die Leistung nachlässt oder der Zustand kritisch wird. Durch den vergleichsweise spärlichen Stromfluss werden die Second-Hand-Akkus schonend nachgefüllt und dürften so recht lange halten.

Angenehmes Ladeerlebnis

Pro Tag können aktuell rund 80 Elektroautos mit Strom versorgt werden. Diese Zahl entstammt den Analysen des Ladepartners Ionity, die ergeben haben, dass pro Tankvorgang durchschnittlich 45 kWh in die Akkus strömen. Das Prinzip der Audi Strom-Tankstelle ist durchgängig modular. Aktuell besteht die Prototypen-Tankstelle aus drei sogenannten Cubes, mit jeweils zwei Ladepunkten. Wenn an beiden Säulen geladen wird, halbiert sich die Ladeleistung auf maximal 160 kW. Bei Bedarf können schnell weitere Cubes nachgerüstet werden. Damit die funktionieren, ist nicht einmal eine ständige Stromleitung nötig. Jeder Cube hat auch stationäre Stromspeicher, die dann einfach von nachgefüllt werden müssen. "Das ist Plug n Play", freut sich der strategische Projektleiter Ewald Kreml. Dennoch sind beim Nürnberger Pilotprojekt bereits Röhren für eine Erweiterung gelegt.

Audi Charging Hub (Foto: press-inform / Audi)
Audi Charging Hub (Foto: press-inform / Audi)
Audi Charging Hub (Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)

Eine ausgefeilte Ladetechnik ist die eine Sache, das Ladeerlebnis eine ganz andere. Per App oder Online kann man sich seinen 45-minütigen Lade-Slot buchen. Genau 15 Minuten vor Eintreffen klappt dann ein Metallbügel nach oben und reserviert den Platz für den Kunden. Das Ladekabel ist an einer Art schwenkbaren Galgen befestigt, hängt so in der Luft, wird nicht dreckig und ist dank dieser Vorrichtung nur halb so schwer und kann so ohne großen Kraftaufwand angeschlossen werden. Laden kann übrigens jeder Elektromobilist mit seiner Ladekarte. Der Tarif entspricht dann dem seines Anbieters. Die Audi-Kunden zahlen die Ionity-üblichen 31 Cent pro Kilowattstunde.


Bislang haben sich die Ladesäulen entlang der deutschen Verkehrsadern nicht durch besonderen Charme ausgezeichnet. Raus aus dem schummrigen Ecken auf Rastplätzen lautet die Audi-Devise. Dass jeder Ladepunkt überdacht ist, versteht sich von selbst. Mit dem Aktivieren des Ladevorgangs erhält der Kunde einen Code, der den Zugang zu einer beheizten Lounge freischaltet. Dort kann man sich einen Kaffee oder aus Automaten, Kaltgetränke und kleine Snacks ziehen. Die Produkte passen zum edlen Ambiente und stammen nicht aus dem Discounter. Wer will, kann auch arbeiten oder einfach entspannen. WLan ist vorhanden und ein Concierge steht zwischen 10 bis 19 Uhr für alle Fragen bereit. Die Audi- und Porsche-Kunden erhalten Zugang zu einem weiteren Raum, der noch etwas luxuriöser ausgestattet ist und auch eine Dachterrasse für die warmen Tage bietet.

(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)

Die Station in Nürnberg ist nur der Anfang. Wenn alles glatt läuft, sollen die Charging Hubs an neuralgischen Punkten in den Städten installiert werden. Das sind zum einen die Einfallsstraßen und zum anderen Knotenpunkte. Da beobachten die Audi-Strategen die Einparkvorgänge von vielen Tausenden Elektroautos. Bei mehr als fünf pro 30 Minuten wird es interessant. Ist die Entscheidung gefallen, geht es sehr schnell. Nach der Genehmigung durch die zuständigen Behörden ist ein solcher Audi Charging Hub innerhalb von vier Wochen aus dem Boden gestampft und verschwindet bei Bedarf genauso schnell wieder. Die Basis ist ein Stahlträgergerüst. Der Loungebereich beziehungsweise das Obergeschoss besteht aus fünf Modulen in Holzbauweise. Für Menschen mit Handicap ist auch ein Rollstuhllift vorhanden und eine behindertengerechte Toilette. Autarkie ist Trumpf beim Audi Charging Hub. Das Wasser für die Sanitäranlagen kommt zur Not aus einem Tank und der dazugehörigen Aufbereitungsanlage.

 

 

Autor: Wolfgang Gomoll, Nürnberg  Stand: 17.12.2021
Fotos: press-inform / Audi