Statt dessen 215 oder mehr Pferdestärken müssen in der Cabrio-Limousine 118 kW / 160 PS und 242 Nm maximales Drehmoment reichen, um sich stilvoll und standesgemäß der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Verzicht auf die Direkteinspritzung des Sportvarianten kostet Leistung und im Fahrbetrieb Ansprechverhalten. Am dürren Steuer spürt man schnell, dass die Motorleistung des Reihensechszylinders jedoch eine allzu vernachlässigende Größe ist. Kaum ist die üppig mit Leder und Echtholz verzierte Fahrertür zugeschlagen, beginnt die Zeitreise in die automobile Vergangenheit. Die Entschleunigung der anderen Art erinnert trotz der vergleichsweise modernen Technik beinahe an ein Vorkriegsmodell. Die Lenkung ist so weich, leichtgängig und indirekt, wie man es sonst allenfalls von amerikanischen Dickschiffen aus den 60er und frühen 70er Jahren kennt. Lenkmanöver sollten daher gut überlegt und frühzeitig eingeleitet werden.
Teurer als ein Flügeltürer
Der blass kolorierte Verkaufsprospekt der Limousine stellt Luxus und grenzenlosen Reisekomfort ins Zentrum seine Aussage und verblüfft ganz nebenbei mit einem "Spiegelbild des Fortschritts". All das und noch viel mehr bietet auch die offene Variante, die bei entsprechenden Leistungsabfragen eine Höchstgeschwindigkeit von immerhin 165 km/h in Aussicht stellt. Dem wenig stilvollen Imagespurt 0 auf Tempo 100 in 18 Sekunden glaubt man auf Wort - ohne diesen jemals auszuprobieren. Die höheren Tempi sind zumindest nach heutigen Maßstäben nicht die, die man offen mit dem 300er Mercedes erleben möchte. 90, 120 oder ein paar Stundenkilometer mehr - doch damit hat man den zurückhaltenden Schwaben mit seiner nur verzögert schaltenden Dreigang-Automatik mehr gefordert, als es sich ziemt. Zu spektakulär ist der lässige Reisekomfort, den er kuschelweich gefedert, seinen Insassen bietet. Am besten zu zweit lässt sich das mächtige Stoffdach mit außen liegenden Führungsscharnieren manuell nach hinten schwingen und zieht die schwarze Persenning über.
Dann ist auch die erstmals bei Daimler zu erstehende Klimaanlage ad Absurdum geführt. Die Scheiben wenig stilvoll mit der Hand heruntergekurbelt und der Fahrtwind taucht schon im leichten Trab umfänglich in die offene Luxuslimousine ein, die im Jahre 1960 einst in trendigem moosgrün vom Band lief. Der amerikanische Besitzer des aufwendig restaurierten Einzelstücks ließ seinen Klassiker nach kurzem Überlegen in einem dezenten grau lackieren. Der Rest blieb abgesehen von der nachgerüsteten Servolenkung weitgehend original und so fehlen Sonderausstattungen wie elektrische Fensterheber oder orthopädische Sitze vorn. Ein Dreh und das Radio entflammt während sich die elektrische Antenne in den kalifornischen Himmel reckt. Der Motor säuselt kaum vernehmbar im Hintergrund und das Luxusmodell drückt sich scheinbar ohne jegliche Anstrengung die seichten Kehren an der kalifornischen Küste hinauf. Kurvenscheitelpunkte werden eher ertastet, denn angesteuert und die Bremse hat mit den über zwei Tonnen bisweilen leichte Mühe. Am Steuer stellt sich schnell ein Fahrrhythmus ein, der mit seinen Bewegungen unbemerkt einem endlosen Walzer gleichkommt.
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- Veröffentlicht: 26. April 2016