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Sonnenwalzer

Mercedes 300 d Cabriolet - kam 1958 auf den Markt (Foto: Royce Rumsey)

Die Bundesrepublik Deutschland war noch jung, als Mercedes seine erste Staatslimousine auflegte. Der 300er hat nicht nur in der Klassikszene bis heute Weltruf. Besonders spektakulär und einzigartig schön ist die Cabrioversion.

Es gibt elegantere Cabrios als den Mercedes 300; da muss man gar nicht lange suchen. Doch ist der 300er Mercedes gleichsam einer der großen Meilensteine der schwäbischen Modellgeschichte und des europäischen Automobilbaus. Während der spektakuläre Mercedes 600 der Baureihe W 100 als sein Nachfolger, über Jahrzehnte Staatslimousine von Deutschland und einer Reihe anderer Nationen mit ihren filigranen Formen verzauberte, war der 300er grober, üppiger und doch bis heute schlicht einzigartig. Lange Jahre war der Mercedes 300 (einstige Auflage: 3.000 Stück) auf dem internationalen Markt der klassischen Luxuslimousinen ein überaus blass nachgefragtes Stück. Das hat sich zuletzt geändert und die besonders seltenen Cabrios erklimmen immense Werte. "Von dem Adenauer Cabriolet wurden gerade einmal 65 Stück gebaut. Wie viele es noch gibt, wissen wir nicht genau. Viele sind es aber sicher nicht", erklärt Mike Kunz, Chef des Mercedes Klassikcenters in Irvine / Kalifornien. Hier wurde gerade das wohl wertvollste Mercedes 300 d Cabriolet D wieder zu neuem Leben erweckt. "Die Restaurierung dauerte rund vier Jahre", sagt Mike Kunz nüchtern, "parallel dazu haben wir eine 300er Limousine instandgesetzt und dabei viel über die Baureihen gelernt."

160 statt 215 PS

Der offene Mercedes 300 ist ein Zeitzeichen der späten 50er Jahre und damit ein Zeuge einer aufstrebenden und zunehmend selbstbewusster strahlenden Bundesrepublik, die alles andere wollte, als mit einer imposanten Staatslimousine nach außen hin die Muskeln spielen zu lassen. Der Zweite Weltkrieg lag gerade erst einige Jahre zurück, als Mitte der 50er Jahre die Entscheidung für den Mercedes 300 gefällt wurde. Die enge Ableitung von der 300er Limousine ist dem offenen Beau nicht nur durch seine bauchig-organischen Formen anzusehen. Das Cabriolet der W 189 Serie behielt seine vier Türen - bis heute in der Daimler‘schen Nachkriegsgeschichte einmalig. Seine enge technische Verwandtschaft mit dem spektakulären Flügeltürer des Mercedes 300 SL sieht man dem 5,19 Meter langen und über zwei Tonnen schweren Luxusmodell nicht einmal auf den zweiten Blick an.


Statt dessen 215 oder mehr Pferdestärken müssen in der Cabrio-Limousine 118 kW / 160 PS und 242 Nm maximales Drehmoment reichen, um sich stilvoll und standesgemäß der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Verzicht auf die Direkteinspritzung des Sportvarianten kostet Leistung und im Fahrbetrieb Ansprechverhalten. Am dürren Steuer spürt man schnell, dass die Motorleistung des Reihensechszylinders jedoch eine allzu vernachlässigende Größe ist. Kaum ist die üppig mit Leder und Echtholz verzierte Fahrertür zugeschlagen, beginnt die Zeitreise in die automobile Vergangenheit. Die Entschleunigung der anderen Art erinnert trotz der vergleichsweise modernen Technik beinahe an ein Vorkriegsmodell. Die Lenkung ist so weich, leichtgängig und indirekt, wie man es sonst allenfalls von amerikanischen Dickschiffen aus den 60er und frühen 70er Jahren kennt. Lenkmanöver sollten daher gut überlegt und frühzeitig eingeleitet werden.

Teurer als ein Flügeltürer

Der blass kolorierte Verkaufsprospekt der Limousine stellt Luxus und grenzenlosen Reisekomfort ins Zentrum seine Aussage und verblüfft ganz nebenbei mit einem "Spiegelbild des Fortschritts". All das und noch viel mehr bietet auch die offene Variante, die bei entsprechenden Leistungsabfragen eine Höchstgeschwindigkeit von immerhin 165 km/h in Aussicht stellt. Dem wenig stilvollen Imagespurt 0 auf Tempo 100 in 18 Sekunden glaubt man auf Wort - ohne diesen jemals auszuprobieren. Die höheren Tempi sind zumindest nach heutigen Maßstäben nicht die, die man offen mit dem 300er Mercedes erleben möchte. 90, 120 oder ein paar Stundenkilometer mehr - doch damit hat man den zurückhaltenden Schwaben mit seiner nur verzögert schaltenden Dreigang-Automatik mehr gefordert, als es sich ziemt. Zu spektakulär ist der lässige Reisekomfort, den er kuschelweich gefedert, seinen Insassen bietet. Am besten zu zweit lässt sich das mächtige Stoffdach mit außen liegenden Führungsscharnieren manuell nach hinten schwingen und zieht die schwarze Persenning über.

Das Mercedes 300 d Cabriolet wurde nur 65 Mal gebaut (Foto: Royce Rumsey)
Mercedes 300 d Cabriolet - klassisch schön (Foto: Royce Rumsey)
Mercedes 300 d Cabriolet - mittlerweile liegt der Wert bei über einer Million Dollar (Foto: Royce Rumsey)
(Foto: Royce Rumsey)
(Foto: Royce Rumsey)
(Foto: Royce Rumsey)

Dann ist auch die erstmals bei Daimler zu erstehende Klimaanlage ad Absurdum geführt. Die Scheiben wenig stilvoll mit der Hand heruntergekurbelt und der Fahrtwind taucht schon im leichten Trab umfänglich in die offene Luxuslimousine ein, die im Jahre 1960 einst in trendigem moosgrün vom Band lief. Der amerikanische Besitzer des aufwendig restaurierten Einzelstücks ließ seinen Klassiker nach kurzem Überlegen in einem dezenten grau lackieren. Der Rest blieb abgesehen von der nachgerüsteten Servolenkung weitgehend original und so fehlen Sonderausstattungen wie elektrische Fensterheber oder orthopädische Sitze vorn. Ein Dreh und das Radio entflammt während sich die elektrische Antenne in den kalifornischen Himmel reckt. Der Motor säuselt kaum vernehmbar im Hintergrund und das Luxusmodell drückt sich scheinbar ohne jegliche Anstrengung die seichten Kehren an der kalifornischen Küste hinauf. Kurvenscheitelpunkte werden eher ertastet, denn angesteuert und die Bremse hat mit den über zwei Tonnen bisweilen leichte Mühe. Am Steuer stellt sich schnell ein Fahrrhythmus ein, der mit seinen Bewegungen unbemerkt einem endlosen Walzer gleichkommt.


Doch es geht bei einem 300er nicht um den Fahrer; man reist selbstverständlich hinten. Im opulenten Fond sitzt es sich schon aufgrund des 3,15 Meter langen Radstandes noch lässiger als vorn, wo der Verstellbereich für groß gewachsene Insassen schnell an seine Grenzen gerät. Und schon aufgrund des handschuhweichen Lederbezugs hat man nie einen Zweifel daran, in einer absoluten Luxuslimousine ihrer Zeit unterwegs zu sein, von der gerade einmal 65 offene Versuchungen kreiert wurden. Der genaue Wert lässt sich schon aufgrund der einzigartigen Restaurierung schwer abschätzen. Ende der 50er Jahre kostet der automobile Cabriotraum 37.000 D-Mark - inklusiv Dreigang-Automatik und Stoffsitzen. Der US-Preis von 12.644 Dollar toppte selbst den 300 SL - egal ob Roadster oder Flügeltürer - deutlich. Den Wert des einzigartigen Cabriolets beziffert Klassikexperte Mike Kunz ohne eine Miene zu verziehen mit über einer Million. So traumhaft wie das Auto selbst.

(Foto: Royce Rumsey)
(Foto: Royce Rumsey)
(Foto: Royce Rumsey)
(Foto: Royce Rumsey)
(Foto: Royce Rumsey)
(Foto: Royce Rumsey)

 

Autor: Stefan Grundhoff, Irvive  Stand: 26.04.2016
Fotos: Royce Rumsey