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Träumen mit dem Kollaps vor Augen

Mercedes auf der Shanghai Autoshow (Foto: Hersteller)

Einst fanden die wichtigsten Automessen in Detroit, Genf oder Frankfurt statt. Doch wenn es um neue Trends und mächtigste Volumen geht, ist China längst weit enteilt. Wer weltweich erfolgreich sein will, muss hier glänzen - besser strahlen. Die Shanghai Autoshow setzt Maßstäbe.

Die morgendliche Fahrt zur Shanghai Autoshow zeigt das Leben der chinesischen Großstädter eindrucksvoller denn je. Die Straßen der 25-Millionen-Metropole platzen aus allen Nähten und selbst kürzeste Distanzen in der grauen Innenstadt dauern mit dem Auto schnell eine Stunde oder mehr. Doch nicht erst seitdem China die USA als wichtigsten Automarkt der Welt abgelöst hat, blicken die Entscheider der großen Konzerne ins Land der unbegrenzten automobilen Möglichkeiten. Auch wenn die Straßen hier den alltäglichen Kollaps zelebrieren, zunehmend Restriktionen eingeführt werden, um der Luftverschmutzung Herr zu werden und chinesische Hersteller dem Zeitalter der Plagiate längst entwachsen sind - der Automarkt kennt hier kaum irdische Grenzen. Zuwächse und absolute Verkaufszahlen eilen von Bestwert zu Bestwert. Keine Überraschung, dass die Automesse, die sich zweijährlich im Frühjahr mit der Auto China in Peking abwechselt, sich längst damit rühmt, die größte Automesse der Welt zu sein. 2.000 Hersteller mit fast 1.500 ausgestellten Modellen und rund einer Million Besucher sind eindrucksvolle Zahlen, die nur ein Beleg dafür sind, was sich auf den Straßen in der Umgebung abspielt. Das Messezentrum selbst ist gigantisch, modern und die düsteren Dreckorgien vergangener Jahre sind vergessen. Vergleicht man die Shanghai Autoshow mit den Messen in Genf, Paris, Frankfurt oder Detroit muss einem Bange um eben diese werden.

Neuer Haval H6 - der Bestseller

So sehr sich die europäischen Hersteller auf ihrem liebsten Auslandsmarkt auch im Scheinwerferlicht aalen, auf Verkaufsrekorde verweisen und ihre Neuheiten präsentieren: die heimischen Hersteller, zumeist namenlos für einen unkundigen Ausländer, haben die 17. Shanghai Autoshow fest im Griff. Die Stars auf den mächtigen Ständen heißen nur auf den ersten Blick Mercedes S-Klasse, BMW 5er LWB, Audi e-tron Sportback, Skoda Vision E oder VW I.D. Crozz. Die heißen Teile, die coolsten Geräte und wichtigsten Neuheiten für den Gigantomarkt China kommen von Haval, Landwind, Roewe, FAW, SAIC oder Nio. Honqi, einst nur Produzent der mächtigen Staatslimousinen ist mit Modellen wie seinem 5,20 Meter langen LS5 als Konkurrenz zu Range Rover und Bentley Bentayga längst ebenso auf den SUV- und Geländewagentrend aufgesprungen, wie nahezu jeder andere China-Hersteller.


Dabei zeigt sich die Neuauflage des meistverkauften chinesischen Autos, dem Haval H6 erwachsener denn je. Design und Technik müssen sich nicht gegenüber den lange Jahre oftmals nur peinlich kopierten europäischen Herstellern verstecken. Einzig im Innenraum gibt es bisweilen noch Design- und Materialdefizite; doch das Gesamtpaket passt und der Respekt der Europäer wird immer größer. Die Konzeptstudie eines SUV-Coupé von Haval ist schicker denn je und auch wenn Ähnlichkeiten zu einem BMW X4 kaum zufällig sein dürften; wirklich schamlose Kopien sind eine Seltenheit. Die chinesischen Neuheiten selbst sind kaum aufzuzählen und das erst vor zwei Jahren fertiggestellte Messezentrum mit seinen acht Riesenhallen ist mehr als imposant.

Starke deutsche Hersteller

Kein Wunder, dass Mercedes die optisch kaum erkennbare Neuauflage seiner S-Klasse unweit des Huangpu-Flusses vorstellt. "Wir verkaufen weltweit jede dritte unserer S-Klasse in China und 60 Prozent unserer Maybach-Modelle", unterstreicht Daimlers China-Chef Hubert Troska, "wir haben das beste Auto der Welt noch ein gutes Stück besser gemacht." Dann setzen beim mächtigen Vorabendfestakt Streicher ein und ein weiblicher Diskjockey für wummernde Beats auf dem ehemaligen Expo-Gelände. Zwei Stunden zuvor enthüllte Mercedes ein paar Kilometer entfernt bei einer anderen Veranstaltung auf die neue A-Klasse Limousine. "Wir erweitern unsere Kompaktklassemodell von derzeit fünf auf dann acht Modelle", sagt Daimler-Vertriebsvorstand Britta Seegers. Gerade von einer A-Klasse-Limousine versprechen sich die Schwaben in China neue Marktanteile - gerade als Langversion. Volkswagen enthüllt mit dem Crozz die erste SUV-Studie der neuen Elektrobaureihe I.D., die jedoch erst 2020 auf den Markt kommt. 306 PS, 500 Kilometer elektrischer Reichweite und ein 30-Minuten-Ladeturbo sind Daten, mit denen auch die tschechische Schwester glänzen will. Skoda spricht mit seinem Vision E auf gleicher Plattform und mit ähnlichem Styling das gleiche Klientel an, während Audi mit dem e-tron Sportback Concept einen Ausblick auf seine elektrische Zukunft ab 2019 gibt. Während I.D. Crozz und Vision E Zukunftsmodelle sind, sieht das bei Skoda Kodiaq, dem Schwestermodell VW Tiguan L oder dem großen Bruder VW Terramont (baugleich mit dem VW Atlas in den USA) ganz anders aus. Sie alle sind in China ab sofort zu bekommen. "China war 2016 mit mehr als 65.000 verkauften Fahrzeugen erneut unser größter Einzelmarkt. Neue Modelle wie der Panamera Sport Turismo stimmen uns zuversichtlich, dass dieser Erfolg anhalten wird", sagt Porsche-Vorstands-Chef Oliver Blume.

FAW Messestand (Foto: Hersteller)
Haval H6 - das neue Massenmodell (Foto: Hersteller)
Honqi LS5 - 5,20 Meter langes Luxusmodell (Foto: Hersteller)
(Foto: Hersteller)
(Foto: Hersteller)
(Foto: Hersteller)

Da lässt es BMW schon bodenständiger angehen und zeigt mit der Langversion seines neuen 5er BMW und dem 460 PS starken M4 CS die Freude am Fahren und gefahren werden. Kaum als Sportversion zu erkennen: der 231 PS starke Mini John Cooper Works Countryman. Die Modelle ab der Mittelklasse werden in China nur selten selbst bewegt. Durch die stundenlangen Staus fahren in den meisten Fällen Chauffeure und so haben selbst Modelle wie Audi A4, BMW 3er, VW Passat und Mercedes C-Klasse einen langen Radstand, sodass hinten rechts entspannt oder gearbeitet werden kann. Auch die französischen Autohersteller haben den chinesischen Markt und die entsprechenden Messen längst als Spielwiesen für ihre neuen Modelle ausgemacht. Keine Überraschung, dass der 4,50 Meter lange Citroen C5 Aircross als Konkurrent von VW Tiguan und BMW X1 seinen Erstaufschlag in China feiert und erst 2018 nach Europa kommt. Er ist ebenfalls als Plug-In-Hybrid in Planung; ein Trend, der sich auf der chinesischen Messe jedoch zu überholen scheint. Die Hybride stehen im Schatten der Scheinwerfer, während moderne Turbobenziner und Elektroautos die meiste Aufmerksamkeit bekommen. "Die Zeit der Plug-In-Hybriden geht wohl zu Ende, noch bevor sie so recht begonnen hat", sagt der Vorstand eines europäischen Autoherstellers das, was viele denken, "wir haben die teure und schwere Technik von zwei Antrieben sowieso nie wirklich gewollt."


Gab es vor Jahren von den einheimischen Herstellern wie Haval, BYD, Zotye, Changan oder Geely kaum mehr als unterhaltsame Plagiate wirre Plug-In- und Elektrostudien zu sehen, so ist der lokale Markt längst erwachsen geworden. Modelle wie der Nio ES8 als Mittelklasse-SUV mit europäischen Designgenen können sich dabei ebenso sehen lassen wie der Qoros K EV, der als 5,12 Meter lange Zukunftslimousine mit einem 870 PS starken Elektromotor prahlt. 500 Kilometer möglicher Reichweite und eine Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h sind eine Kampfansage an Tesla und Co. Markenneuling Lynk & Co zeigt bei seinem ersten großen Auftritt vor heimischen Publikum nicht nur die Serienversion seines Premierenmodells 01, mit dem auch Europa in Angriff genommen werden soll, sondern auch einen seriennahen Ausblick auf die Mittelklasselimousine namens 03 Concept. "Nun mit zwei Modellen in der Lynk & Co Familie haben wir nur fünf Monate nach Firmengründung bewiesen, dass wir unsere Versprechungen in Bezug auf Reichweite, Qualität, Technologie und Konnektivität als Standard ebenso einhalten wie unsere Markenidentität", sagt Alain Visser, Senior Vice President von LYNK & CO. Die Chinesen haben in den nächsten Jahren eine Menge vor. Die Konkurrenz wird dabei gerade für die etablierten Firmen aus Europa und den USA härter denn je.

(Foto: Hersteller)
(Foto: Hersteller)
(Foto: Hersteller)
(Foto: Hersteller)
(Foto: Hersteller)
(Foto: Hersteller)

 

 

 

Autor: Wolfgang Gomoll / Stefan Grundhoff  Stand: 19.04.2017
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