Die wilde Maus
Die Japaner lieben Ausflüge am Wochenende. In der 30-Millionen-Stadt Tokio geht es dann entweder in die zahllosen gepflegten Parkanlagen oder ins Umland. Wer Sportwagen liebt, gönnt sich nur allzu gerne einen Auslug Richtung Irohazaka – der kurvenreichsten Straße Japans mit Blick auf den Mount Nantai.
Für viele Autofans ist bekanntlich der Weg das eigentliche Ziel und zumeist ist der schönste Weg selten der direkte. Automobile Kurvenfans kommen bei einem Ausflug ins japanische Bergland auf ihre Kosten – nicht allein am Wochenende. Irohazaka liegt rund zwei Stunden nördlich von Tokio – wo auch immer genau man die Grenze zwischen Stadt und Land ziehen mag. Zehn Minuten hinter dem unscheinbaren Städtchen Nikko geht es über die Nationalstraße 120 hinauf zum Chuzenji See. Der ist mit seinen seichten Berg- und Hügelketten an sich schon sehenswert genug. Doch viele kommen nicht wegen Herbstwanderungen, Panoramaausblick, Museum oder Touristennepp, sondern der kurvenreichen Straße mit Namen Irohazaka, die 1954 erbaut und 1965 erweitert wurde. Die 48 Kehren hinauf zum See und wieder herab kennt in Japan jedes Kind. Benannt ist jede von ihnen nach dem alten japanischen Alphabet.

Nicht allein an sonnenreichen Wochenenden zieht es hunderte von Kurvenräubern auf zwei oder vier Rädern in die Bergregion nördlich von Tokio. Dass die Fahrt dorthin aus dem Herzen der japanischen Metropole oft nicht zwei, sondern bis zu vier Stunden pro Strecke dauern kann, ist nicht ungewöhnlich. Tokio und sein Autoverkehr – das ist trotz des imposanten Bahnnetzes eine ganz eigene Geschichte. Seit Oktober 2019 macht die Bergfahrt auf der Nationalstraße 120 durch die engen Kehren noch mehr Spaß, denn seither wurde der Gegenverkehr aus Sicherheitsgründen ausgesperrt. Bergan geht es auf den engen Kurven und Kehren seither trotz zweispurigen Ausbaus ohne gefährliche Abfahrer von oben. Da es immer wieder zu Unfällen kam, rüstete die lokale Präfektur Tochigi in den vergangenen zehn Jahren auf, vergrößerte Auslaufzonen sowie Leitplanken und stellte den Gegenverkehr schließlich komplett ab.
An das strenge Tempolimit von 40 km/h halten sich dabei je nach Tag und Uhrzeit bei weitem nicht alle. Regelmäßig machen Autoclubs aus dem ganzen Land Ausflüge nach Irohazaka. So wundert es nicht, dass selbst unter der Woche zahllose Mazda MX-5, Porsche Boxster, Daihatsu Copen oder Mini Cooper die Strecke bevölkern. Mit einem nachgeschärften Mini John Cooper Works machen wir selbst die Probe aufs Exempel. Ist die Kurvenhatz so heiß wie Tail of the Dragon in North Carolina, der bayrische Tatzelwurm oder gar eine Fahrt auf dem schottischen Bealach na Ba?

Wer hinter dem Steuer seine helle Freude haben will, sollte die normale Limousine, den SUV oder gar einen Familientransporter zu Hause lassen. Die Irohazaka-Kehren sind eng und es geht tüchtig bergan – die ideale Spielwiese für den 231 PS starken John Cooper Works Mini, der bestenfalls im manuellen Getriebemodus den Berg sonor tönend berganstürmt. Das Schalten über die Lenkradpedale kann man sich eigentlich sparen, denn mit dem zweiten der insgesamt sieben Gänge ist der JCW bestens unterwegs. Das Drehmoment von 380 Nm tut sein übriges, sodass es Laune macht, das Hochschalten einfach zu unterlassen. Die knapp 16 Kilometer lange Bergstrecke, die einen Höhenunterschied von 450 Meter überwindet, wurde schon länger nicht mehr frisch asphaltiert, die Winter können hier kalt werden und dann sind in einigen Passagen gelbe Rüttelelemente aufgebracht, damit es die vermeintlichen Sportfahrer nicht allzu sehr übertreiben.
Die leichten Zischgeräusche des Brit-Brühwürfels paaren sich wiederholt mit dem bassigen Auspuffploppen und der zum Pilot aufgestiegene Fahrer genießt in wohl konturierten Sportsitzen die präzise Lenkung und das straffe Fahrwerkspaket, mit dem der Fronttriebler jene Höhen erklimmt. Der niedrige Schwerpunkt tut zusammen mit den 18-Zöllern, die gerne etwas breiter sein dürften sein Übriges, das dieser erste Irohazaka-Ausritt nicht die letzte sein dürfte. Nicht jeder lässt es an diesem Mittag dabei so flott angehen und so heißt es immer wieder Abbremsen und Platz zum Vordermann lassen, um die Kurvenhatz zu genießen. Schneller als es einem lieb ist fährt der schwarze JCW in Kehre 12 auf den silbernen Suzuki Solid auf, der in mäßigem Tempo den Hügel erklimmt und von zwei Yamahas überholt wird. Beim kurzen Stopp an einer Fotokehre donnern zwei ein Mazda MX-5 und ein Toyota Supra heran – üppig getunt und mit bekappten Fahrern hinter den Steuern.

Der Ausblick Richtung Südosten auf die bunten Wälder des hiesigen Indian Summers ist sehenswert, doch es geht um Kurven und so erwacht der Vierzylinder-Turbo wieder zu neuem Leben. Sportmodus angewählt und ab geht die nicht ganz so wilde Fahrt. Oben am Chuzenji See ist es stürmisch und kühl, sodass der Ausblick zum fast 2.500 Meter hohen Mount Nantai kürzer ausfällt, als erwartet. Touristenbusse laden ihre ertragreiche Fracht vor dem Naturkundemuseum und Geschäften ab, während es vorbei an der Eneos-Tankstelle wieder auf der Nationalstraße 120 Richtung Utsumomiya und Nikko – vorbei an den Kegon Wasserfällen geht. Bevor es zurück nach Downtown Tokio geht, ist noch eine zweite Runde drin, denn die Bergabfahrt ist zäh. Die Touristen zuckeln mit niederen Tempi Richtung Nikko – immer wieder aufgehalten von Bussen, die die engen Kurven bei der Abfahrt ebenfalls meistern müssen – in Schrittgeschwindigkeit. Das nächste Mal geht es frühmorgens nach Irohazaka. Dann sollen hier nur die echten Freaks fahren und dass dürfte Fahrer und Mini John Cooper Works gleichermaßen erfreuen.
















