Der Understatement-Riese aus Affalterbach
Der E 60 AMG ist ein Fahrzeug der Superlative. Mitte der 1990er-Jahre war er mit seinem 381 PS starken V8 das kräftigste Modell der E-Klasse. Der Preis lag entsprechend exklusiv. Rund 200.000 DM kostete die Limousine in der Spitze und positionierte sich damit fast auf Augenhöhe mit dem S 600, der als Topmodell mit langem Radstand und Zwölfzylinder für 210.220 DM in der Preisliste stand.
Im Auftritt bleibt der Supersportler betont zurückhaltend. Nur Kenner erkennen den besonderen Charakter an den dezent verbreiterten Schwellerverkleidungen, 18-Zoll-AMG-Leichtmetallrädern und den schwarz lackierten Mercedes-Sternen sowie dem schwarzen Kühlergrill. Das sind Details, die den Unterschied machen und die Handschrift aus Affalterbach zeigen. Zum Vergleich: Wer 1997 einen E 430 als V8 orderte, musste „nur“ 104.995 DM investieren. Der E 60 AMG kostete also fast das Doppelte.
Seine Wurzeln hat das Topmodell im 1996 vorgestellten E 50 AMG, der bereits satte 347 PS aus knapp fünf Litern Hubraum bot. Wer beim Kauf den Ausstattungscode 957, also das AMG-Technikpaket, auswählte, orderte die große Verwandlung: Der Motor wuchs auf fast sechs Liter Hubraum, das Leistungsplus betrug 34 PS, das maximale Drehmoment kletterte um 100 Newtonmeter auf nun 580 Newtonmeter insgesamt. Für die Zeit eine Ansage.

Das Resultat: Der E 60 AMG beschleunigt in 5,9 Sekunden auf 100 km/h, um drei Zehntelsekunden schneller als der E 50 AMG. Die Tachoskala reicht bis 280 km/h, die tatsächliche Höchstgeschwindigkeit bleibt, elektronisch begrenzt, bei 250 km/h. Für das Werkstuning verlangte Mercedes 1996 einen Aufpreis von rund 50.000 DM auf die 148.350 DM für den E 50 AMG. Exklusivität hatte schon damals ihren Preis.
Die Fertigung der sportlichen AMG-Spitzenmodelle erfolgte weitgehend in Handarbeit. Mercedes-Benz lieferte die Karosserien nach Affalterbach, wo Motor, Getriebe, Antrieb und Achsen eingebaut wurden. Unter dem Blech sorgt ein spezifisches AMG-Sportfahrwerk für optimierten Grip, die Hinterachse ist mit einer 1:2,82-Übersetzung großzügig lang ausgelegt. Vorn arbeitet eine AMG-Bremsanlage, hinten stammt das System aus dem SL 600 Roadster. Im Jahr 1997 diente der E 60 AMG sogar als Official FIA F1 Medical Car in der Formel 1 an der Seite des C 36 AMG.

Im Innenraum trifft Sportlichkeit auf Sattlerkunst. Edle Holzapplikationen, Alcantara-Einsätze an Türen und Sitzen sowie feinstes Leder kennzeichnen den luxuriösen Charakter. Einstiegsleisten, Schalthebel und Teppiche tragen stolz die Modellbezeichnung, die Abdeckklappe in der Mittelkonsole und der berühmte AMG-Aufkleber auf der Heckscheibe sind mit der Signatur von AMG-Mitgründer Hans Werner Aufrecht versehen. Das AMG-Lenkrad misst kompakte 390 Millimeter im Durchmesser, ist mit Leder und Holz veredelt und vermittelt ein direktes, sportliches Fahrgefühl. Für den passenden Klang sorgt die AMG-Sportabgasanlage, eine Bose-Soundanlage übernimmt das musikalische Rahmenprogramm.
Wie viele E 60 AMG tatsächlich gebaut wurden, ist bis heute unklar. Bekannt ist nur, dass die Zahl in den rund 2.960 produzierten E 50 AMG enthalten ist. Experten gehen von weniger als 200 Exemplaren aus. Damit gehört der E 60 AMG zu den rarsten Werks-AMG-Modellen überhaupt.
Der Super-W210 steht noch bis Mitte April 2026 im Rahmen der Sonderschau „Youngtimer“ im Raum Collection 5 des Mercedes-Benz Museums in Stuttgart.






